Univ.-Prof. Dr. Gerhard Woeginger, 1964–2022

Gerhard Woeginger, zuletzt Universitätsprofessor im Bereich Algorithmen und Komplexität an der RWTH Aachen und unermüdlicher Aufgabenersteller, Trainer und Koordinator bei Mathematikwettbewerben verschiedenster Niveaus und Länder, ist am 1. April 2022 nach schwerer Krankheit verstorben. Besonders bemerkenswert war seine Fähigkeit, erfolgreich Aufgaben für die IMO (Internationale Mathematik-Olympiade) vorzuschlagen, die zu den schwersten überhaupt gehören, gleichzeitig aber auch leichte und dennoch wirklich originelle Aufgaben für andere Bewerbe entwerfen zu können.

Die Verbundenheit von Gerhard Wöginger zur ÖMO hat schon in seiner Zeit als Teilnehmer begonnen. Beim Bundesbewerb errang er 1981 eine Bronze-Medaille und 1982 eine Silber-Medaille, und 1981 nahm er auch an seiner ersten IMO teil. Dies war der Beginn einer lang anhaltenden Beziehung zur ÖMO und zur IMO. In den letzten Jahren hat er eine Vielzahl von Aufgabenvorschlägen für die ÖMO eingereicht und die weitaus größte Zahl der bisherigen österreichischen Aufgabenvorschläge zur IMO stammt aus seiner Feder. Auch für viele weitere internationale Wettbewerbe, wie den Mediterranean Mathematics Competition, hat er eine große Anzahl von Aufgaben beigetragen.

Bei der IMO hat er im Laufe der Jahre verschiedene Rollen bekleidet. So war er zum Beispiel einige Male als Koordinator bei der Auswertung des Wettbewerbs tätig. Im Jahr 2020 war er bei der ersten COVID-IMO Mitglied des österreichischen Betreuungsteams, und im Jahr 2021 war er Mitglied des Problem Selection Committees.

Seine Universitätslaufbahn begann Gerhard J. Woeginger mit dem Studium der technischen Mathematik an der TU Graz, wo er 1987 die Diplomprüfung ablegte und 1991 bei Prof. Franz Rendl promovierte mit der Dissertation zum Thema "Geometric clustering, Reconstruction and Embedding Problems: Combinatorial Properties and Algorithms". Er blieb danach an der TU Graz und habilitierte sich 1995 in Grundlagen der Informatik und in Diskreter Mathematik. Ebenfalls 1995 verbrachte er ein Jahr als PostDoc an der TU Eindhoven, wohin er 2004 als Professor für kombinatorische Optimierung zurückkehren sollte. Davor hatte er von 2001 bis 2004 als ordentlicher Professor den Lehrstuhl für diskrete Mathematik und mathematische Programmierung an der Universität Twente inne. 2016 folgte er einem Ruf an die RWTH Aachen, wo er bis zu seinem Ableben die Abteilung Algorithmen und Komplexität leitete. Auch an der Freien Universität Berlin und der TU Berlin unterrichtete er zeitweise.

Laut Google Scholar war Gerhard J. Woeginger Mitverfasser von nicht weniger als 444 wissenschaftlichen Arbeiten und wurde unglaubliche 18982 Mal zitiert. 1996 war er einer der ersten Preisträger des österreichischen Start-Preises, einer der höchsten österreichischen Ehrungen für Wissenschafter*innen unter 35 Jahren. Seine Fachgebiete umfassten unter anderem Approximationsalgorithmen, Scheduling, Kombinatorische Optimierung, Online-Algorithmen, Parametrisierte Komplexität, Graphentheorie, Computational Geometry, Operations Research, Sozialwahltheorie, Bibliometrics und sein Lieblingsgebiet Computational Complexity. Er war damit einer der wenigen Forscher, der sowohl in mathematisch orientierter Optimierung und der Operations Research Community als auch in der theoretischen Computer Science anerkannt war. Unter anderem leitete er das Programmkomitee für mehrere Konferenzen (ESA'1997, ICALP'2003, MAPSP'2005, EURO'2009, IPCO'2011, IPEC'2012) und war Board-Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Journale, darunter der Operations Research Letters.

Neben all diesen Dingen fand er auch noch Zeit für den Mathematik-Adventkalender, eine Homepage über das P-vs-NP-Problem und weitere Dinge, die den Rahmen dieses Nachrufs sprengen würden. Trotz dieser vielen Tätigkeiten berichten alle, die ihn gekannt haben, dass er stets ein offenes Ohr und Zeit für die mathematischen und nicht-mathematischen Anliegen seiner Mitmenschen hatte und somit vor allem durch seine Bescheidenheit und freundliche Art im Gedächtnis bleiben wird.

Wir werden sein Wissen, seine Tatkraft und seine Kreativität sehr vermissen.

Robert Geretschläger, 23. April 2022 16:32